„Das ist das größte Objekt, das wir je gescannt haben!“ Artec scannt gigantischen Gasmotor in 3D in Luxemburg
*Legacy-Scanner. Artec Ray, aufgerüstet auf Ray II.
Herausforderung: 3D-Scan aller 26 Meter des größten Hochofen-Gasmotors der Welt
Lösung: Artec Leo, Artec Ray, Artec Studio
Ergebnis: Ein 3D-Modell mit 300 Millionen Polygonen von einem Nationaldenkmal in Originalgröße, das digital für künftige Generationen aufbewahrt wird.
Moderne, professionelle 3D-Scanner können alle Arten von Objekten erfassen – von winzigen Dingen wie einer Schraube oder einem menschlichen Zahn bis hin zu viel größeren und komplexeren Objekten wie Fahrzeugen, Räumen oder sogar ganzen Gebäuden. Nutzende können die Geräte bequem von ihrem Schreibtisch aus betätigen oder diese an entlegene Orte mitnehmen – auch an solche ohne Steckdosen oder Internetverbindung.
Das war allerdings nicht immer so. Bis vor kurzem konnten 3D-Scanner nur in Innenräumen, unter bestimmten Lichtverhältnissen, mit einer stabilen Stromquelle und einem leistungsstarken Computer verwendet werden. Diese waren oft sperrig und schwer, was es kompliziert, wenn nicht gar unmöglich machte, sie während des Scannens zu manövrieren. Vor allem aber konnten solche Scanner nur Objekte von begrenzter Größe erfassen – also etwas, das auf den Schreibtisch passte, wie eine Skulpturenbüste oder ein Blumentopf. Alles, was größer war, erschien entweder zu schwierig, zu zeitaufwändig oder einfach unmöglich zu scannen.
Mit diesen Voraussetzungen befasste sich das Team des Luxembourg Science Center im Jahr 2016, als es den Plan fasste, eines der nationalen Denkmäler Luxemburgs und einen der Urahnen des Zentrums, die „Groussgasmaschinn“ oder Gasmaschine Nr. 11 – die größte jemals gebaute Hochofengasmaschine der Welt – digital zu konservieren. Um den bestmöglichen Weg für die Erfassung eines so großen Objekts zu finden, wandte man sich an die 3D-Scan-Experten von Artec 3D in Luxemburg.
Gasmotor #11
Die im Jahre 1938 von Ehrhardt & Sehmer gebaute Groussgasmaschinn ist der größte jemals gebaute Gasmotor
Die im Jahre 1938 von der deutschen Firma Ehrhardt & Sehmer im Auftrag eines französisch-belgischen Konsortiums mit dem Namen „Hauts-fourneaux et Aciéries de Differdange, St-Ingbert & Rumelange“ (HADIR) gebaute Groussgasmaschinn ist so groß, dass sie einen ganzen Tennisplatz bedecken könnte. Oder sogar noch mehr: Die Maschine misst 26 Meter in der Länge, hat eine Breite von 10,5 Meter und ist 6,5 Meter hoch. Sie wiegt 1.100 Tonnen und konnte 11.000 Pferdestärken beziehungsweise bis zu 7000 Kilowatt erzeugen. Die Hochofengasmaschine hat vier Zylinder mit einem Fassungsvermögen von je 3.000 Litern und ein 11 Meter langes und 150 Tonnen schweres Schwungrad, das sich mit 94 Umdrehungen pro Minute drehte. Die Maschine wurde von zwölf Arbeitern pro Schicht betrieben und erzeugte in ihrer aktiven Zeit zwischen 1942 bis 1979 mehr als 6.000 kW Leistung aus Gichtgas - ein Abfallprodukt, das bei der Verbrennung von Koks in Hochöfen entsteht.
Die Groussgasmaschinn in der Gasfabrik Differdange im Jahr 1940. Foto mit freundlicher Genehmigung des Luxembourg Science Center
In Differdange, einer luxemburgischen Industriestadt 27 Kilometer südwestlich von Luxemburg-Stadt, befindet sich in einer ehemaligen Stahlproduktionsstätte, die heute dem weltweit führenden Stahl- und Bergbauunternehmen ArcelorMittal gehört, dieses 1.100 Tonnen schwere industrielle Meisterwerk als letzter Zeuge einer einst boomenden, inzwischen vergangenen Ära der luxemburgischen Stahlindustrie.
Dieses Meisterwerk war eine von 14 weiteren Gasmaschinen unterschiedlicher Größe und Leistung, die zwischen 1896 und den 1940er Jahren in der Gasmotorenfabrik Differdange installiert wurden, wobei die Groussgasmaschinn die größte war. Die Maschine wurde im Mai 1942, zwei Jahre nach der Besetzung des Großherzogtums Luxemburg durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg, installiert und in Betrieb genommen. Trotz der Besetzung durch die Nazis gab es während des gesamten Krieges keine Betriebsunterbrechungen, Bombardierungen oder Sprengstoffangriffe in der Nähe des Gaswerks. Am Ende des Krieges war der Gasmotor unversehrt.
Die Maschine war nicht nur die größte jemals gebaute, sondern wahrscheinlich auch eine der letzten, da zunehmend effizientere und leichter verfügbare Dampfturbinen aufkamen. Nach ihrer Stilllegung im Jahr 1979 blieb die Groussgasmaschinn fast 30 Jahre lang unbenutzt. Im Jahre 2007 wurde sie wieder zum öffentlichen Thema, als das luxemburgische Kulturministerium sie zum nationalen Denkmal erklärte, welches es zu erhalten und zu restaurieren gelte. Dank der Unterstützung des Vereins Groussgasmaschinn, aus dem später das Luxembourg Science Center hervorging, und einer Privatfirma namens „GGM11“, die als Sponsor des Projekts fungierte, begannen die Restaurierungsarbeiten fünf Jahre später, im Jahr 2012, und dauern bis heute an.
In dieser Zeit entwickelte das Zentrum die Idee, den gigantischen Motor nicht nur zu restaurieren, sondern diesen auch digital für künftige Generationen zu bewahren. Im Jahr 2016 wandte man sich an Artec 3D in Luxemburg – doch selbst die beste damals verfügbare Scantechnologie war nicht in der Lage, etwas so Großes zu erfassen. Ein paar Jahre später, als neue 3D-Scantechnologien entwickelt wurden und verfügbar waren, zeigte sich Artec bereit, ein so großes Objekt zu scannen.
„Wir wollten diesen Motor schon lange scannen, weswegen wir froh sind, dass die Technologie nun endlich verfügbar ist, um uns dabei zu helfen. Es gibt keinen anderen Gasmotor wie diesen, und es ist wichtig, ihn in seinem aktuellen Zustand zu erfassen“, erläutert Nicolas Didier, Präsident und Generaldirektor des Luxembourg Science Center.
„Diese Daten können uns nicht nur bei der Restaurierung helfen, indem wir einige fehlende Teile und Elemente anhand von 3D-Scans wiederherstellen können, sondern sie eröffnen uns auch eine großartige Möglichkeit, die GGM11 unseren Besuchern aus der Ferne zu präsentieren. Durch diese lässt sich das Potenzial innovativer Technologien wie 3D-Scannen demonstrieren, welches wir noch in diesem Jahr im Zentrum einführen und lehren wollen.“
Großes Scannen
„Das ist das größte Objekt, das wir je gescannt haben! Und es ist viel größer, als ich erwartet hatte“, berichtet Vadim Zaremba, Deployment and Technical Support Engineer bei Artec 3D, als er im November 2020 zum ersten Mal das Gaswerk besuchte, um den Umfang der künftigen Arbeiten zu beurteilen. Nach der Untersuchung des Gasmotors und dem Bestehen aller erforderlichen Sicherheitsverfahren Anfang 2021 kehrte er mit seinem Kollegen Raul Monteiro, dem Spezialisten für technischen Support, und der gesamten Ausrüstung zum Gaswerk zurück.
Wie in den meisten Fällen bestimmen die Größe und Komplexität des Objekts die zu verwendenden Scanner. Der 3D-Scanner Artec Ray wurde primär für die Erfassung des gesamten Motors gewählt, da er große Objekte aus der Entfernung mit Submillimeter-Genauigkeit scannen kann. Artec Leo, ein kabelloser, tragbarer 3D-Scanner, wurde als zweites Gerät speziell für die Erfassung der kleineren Teile und Abschnitte des Motors mit hohem Detailgrad verwendet.
„GGM11 ist nicht nur das größte Objekt, das wir je gescannt haben, sondern auch ein sehr komplexes“, erklärt Zaremba. „Es weist viele Hohlräume und schwer zugängliche Stellen auf. Deshalb war es wichtig, zwei Scanner im Einsatz zu haben, die sowohl die gesamte Maschine als auch ihre kleineren Teile in hoher Auflösung erfassen konnten.“
Die Größe und Komplexität des Objekts bestimmten die zu verwendenden Scanner: Artec Ray und Artec Leo
Der Plan war, den Motor zunächst mit Artec Ray aus so vielen Winkeln wie möglich zu scannen, um das gesamte Objekt zu erfassen. Rückläufig sollten fehlende, kleiner und schwer zugängliche Bereiche mit Artec Leo gescannt werden. Da Artec Ray mit maximaler Auflösung (Punktdichte) scannte, beschloss das Team, sich aufzuteilen, um Zeit zu sparen. Zaremba positionierte den Scanner an verschiedenen Stellen in einem bestimmten Winkel, 5 bis 15 Meter vom Motor entfernt, während Monteiro mit Artec Leo kleinere Abschnitte des Motors, die sich nicht im Sichtfeld des anderen Scanners befanden, scannte. Dann ging Zaremba zum nächsten Abschnitt weiter, und Monteiro folgte ihm auf demselben Weg.
Während Artec Ray den Motor lautlos abtastet, scannt Zaremba mit Artec Leo kleinere Bereiche aus der Nähe.
Eine der schwierigsten Aufgaben bestand darin, den Motor von oben zu scannen. Dazu musste das Team auf eine spezielle Brücke aus den 1940er bis 1950er Jahren klettern, deren Kabine zehn Meter über dem Boden hängt – denn dies war der ideale Ort, um den Motor aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen. Doch dies war leichter gesagt als getan. Die Brücke war alt und instabil – unter dem Gewicht von zwei Personen und einem 3D-Scanner war solch eine Plattform für die Erstellung hochwertiger Scans somit nicht gerade förderlich. Um sicherzustellen, dass die Scandaten fehlerfrei waren, mussten Zaremba und Monteiro mehrere Minuten lang völlig stillhalten, während der Scanner seine Arbeit erledigte.
Insgesamt benötigte das Team vier Arbeitstage, um das Projekt abzuschließen, wobei jeden Tag in drei- bis vierstündigen Schichten aktiv gescannt wurde. Der Motor wurde aus 18 verschiedenen Blickwinkeln mit Artec Ray gescannt, die später in Artec Studio mit 67 weiteren Scans aus Artec Leo kombiniert wurden. Die endgültige Größe des Projekts belief sich auf insgesamt 186 GB, wobei 170 GB auf Leo-Scans und 16 GB auf Ray-Scans entfielen.
Leistungsstarke Verarbeitung
Die Verarbeitung eines so großen Objekts war eine enorme Herausforderung. Um sicherzustellen, dass alle Daten korrekt verarbeitet wurden, teilte Dmitry Potoskuev, Artec 3D Tech Support Engineer, den Prozess in mehrere Etappen auf:
Er begann mit den Rahmendaten und bereinigte zunächst die Daten, indem er mit dem Radiergummi-Werkzeug alle unnötigen Objekte entfernte, die der Scanner beim Scannen des Triebwerks erfasst hatte wie beispielsweise die Teile des Gaswerksgebäudes, Fenster, Wände und verschiedene andere Geräte rund um das GGM11.
Dann konzentrierte er sich darauf, die Daten des Schwungrads und anderer Teile in allen 18 Scans zu vereinheitlichen, indem er mit dem Radiergummi-Werkzeug bestimmte Daten aus einigen Bildern löschte. Dies war notwendig, da mehrere Scans an verschiedenen Tagen durchgeführt wurden und sich die Position des Schwungrads und einiger anderer Teile einige Male änderte, wenn der Motor von GGM11-Mitarbeitern für Vorführungen eingeschaltet wurde. Dies könnte zu einigen Unstimmigkeiten führen, wenn diese Scans einfach so zusammengefügt würden.
Anschließend durchliefen alle Ray-Scans die Globale Registrierung, um untereinander vernetzt zu werden. Weiterhin wurden alle 18 Scans mit dem Algorithmus „Ray Scan Triangulation“ mit einer Polygonkantenlänge von maximal 10 mm zu Netzen verarbeitet. Dies geschah, um alle Oberflächen mit einem großen Abstand zwischen den Scheitelpunkten herauszufiltern und so eine detaillierte und saubere Oberfläche zu erhalten. Auch wurden alle 18 Polygonnetze mit dem Algorithmus Sharp Fusion verarbeitet, um ein zusammenhängendes Netz bzw. „Skelett“ des Motormodells zu erstellen.
Der nächste Schritt bestand darin, alle mit Artec Leo erfassten Details hinzuzufügen. Aufgrund der Größe der Daten (170 GB) unterteilte Potoskuev den Prozess in mehrere Schritte.
Zunächst duplizierte er das ursprüngliche Ray-Polygonnetz und sperrte es. Die duplizierte Kopie wurde auf 5-10 Millionen Polygone vereinfacht und ebenfalls gesperrt. Dies beschleunigte den weiteren Registrierungsprozess. Als Nächstes lud er alle Leo-Scans, die während des Scannens in 17 Gruppen aufgeteilt worden waren, in das duplizierte Ray-Projekt hoch. Jeder wurde darauffolgend mit dem separat vereinfachten Ray-Projekt registriert, um die Daten in höherer Qualität abzugleichen.
Nachdem alle Leo-Scans registriert waren, wählte Potoskuev das ursprüngliche Ray-Polygonnetz sowie vier bis fünf rohe registrierte Leo-Scans aus und wandte den Algorithmus Sharp Fusion, um ein neues Netz zu erstellen. Er wiederholte den Vorgang, bis alle Leo-Scans mit dem ursprünglichen Ray-Netz zu einem endgültigen Polygonnetz des Gasmotors verarbeitet waren.
Das endgültige Netz bestand aus etwa 350 Millionen Polygonen, die dann für die weitere Nachbearbeitung auf 10 Millionen Polygone reduziert wurden, wobei Funktionen wie Werkzeuge zum Füllen von Löchern, der Glättungspinsel und Bridges zum Einsatz kamen. Die gesamte Bearbeitungszeit für den größten jemals gebauten Gasmotor? Alles war innerhalb von zwei Wochen fertig beziehungsweise in 80 Arbeitsstunden umgesetzt worden.
Das endgültige polygonale 3D-Modell der Groussgasmaschinn
Über einige der Herausforderungen, denen er sich bei der Arbeit an dem Modell stellen musste, äußert sich Potoskuev wie folgt: „Die Zeit war definitiv die größte Herausforderung. Dieses Projekt war so umfangreich, dass nicht nur das Scannen und die Verarbeitung viel Zeit in Anspruch nahmen. Besonders die Übertragung der Daten von den Scannern auf den Computer und dann in Artec Studio konnte bis zu 5-6 Stunden andauern... nur für die Übertragung! Wir sprechen hier von fast 200 Gigabyte an Daten – das ist mit Sicherheit das größte und zeitaufwändigste Objekt, das wir je bearbeitet haben.“
Aber wie bei den besten Dingen zahlt sich Geduld aus. „Ich habe noch nie an einem so großen Projekt gearbeitet“, äußert sich Potoskuev. „Es ist erstaunlich, dass wir mit der heutigen 3D-Scantechnologie etwas so Großes und Unzugängliches bis ins kleinste Detail digitalisieren konnten.“
Von den 1940er Jahren bis in die 2020er Jahre: Der Groussgasmaschinn hat dank der Kraft der 3D-Scantechnologien ein zweites Leben bekommen
Das Endergebnis
Auch wenn diese gewaltige Aufgabe nun abgeschlossen ist, ist die Geschichte des Motors noch lange nicht zu Ende.
„Mit diesem gigantischen Motor, der in 3D gescannt wurde, können wir diese Daten nutzen, um einige fehlende Teile zu restaurieren und diesen in seinem jetzigen Zustand zu erhalten. Selbst wenn er im Laufe der Zeit seine Form verliert, können wir auf dieses 3D-Modell zurückgreifen, es unseren zukünftigen Besuchern zeigen und für Restaurierungszwecke nutzen“, sagte Nicolas Didier, Präsident und Generaldirektor des Luxembourg Science Center.
„Wir hoffen, die Renovierung des Motors bis 2027/2028 abzuschließen und diesen zu einem integralen Bestandteil des Science Centers zu machen, zu einer der interaktiven Stationen, die unsere Besucher nicht nur sehen, sondern mit denen sie auch interagieren können. Mit den beiden Artec Leos, die wir Anfang des Jahres für unser Future Skills-Programm gekauft haben, werden unsere Schüler und Mitarbeiter in der Lage sein, den Motor auch selbst in 3D zu scannen!“
Scanner hinter der Geschichte
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