Artec Eva offenbart die Geheimnisse eines Schiffswracks aus dem Mittelalter, das sich als Nachfahre der Wikingerschiffe entpuppt
Während der Erweiterung des Seehafens Wismar in Mecklenburg-Vorpommern entdeckten Archäologen drei Schiffswracks. Ihr letzter Fund ruhte nur drei Meter unter der Meeresoberfläche. Die Ostsee und der Schlick des Hafens hatten das Holzschiff nahezu perfekt erhalten, denn am Boden der Wismarer Bucht herrschen anaerobe Bedingungen mit niedriger Alkalität und wenig Bakterien, Fäulnis oder Holzwürmern.
Das über 24 Meter lange, vier Meter breite Schiff mit seinem großen, offenen Deck wurde um das Jahr 1188 gebaut. Beim 3D-Scannen zeigte sich, dass es ausschließlich mit Axt und Dechsel gezimmert wurde. Sein Eichen- und Kiefernholz stammte den chronologischen Analysen zufolge aus Westschweden. Es fasste eine acht bis zwölf Mann starke Besatzung.
„Es ist ein Nachfahre der Wikingerschiffe“, erklärt Dr. Jens Auer, Meeresarchäologe und Bergungsleiter. „Es lag Jahrhunderte lang unter Sand und Lehm begraben. Dieses schwere Frachtschiff nordischen Baustils wurde mit großer Sorgfalt konstruiert und war immens strapazierfähig. Es wurde mit überlappenden Kiefernplanken in Klinkerbauweise gezimmert und hat wunderschöne Kurven. Da es in einer recht friedlichen Zeit im Einsatz war, beförderte es vermutlich Frachtgut wie Holz, Steine oder schwere Ladungen Bier.“
Auer führt fort: „Als wir das Wrack vom Meeresboden hoben, waren wir erstaunt, wie frisch das Kiefernholz aussah. Als wäre es am Tag zuvor geschlagen worden.“
Jedes der drei Schiffe weist eine andere Bauweise auf: Das erste hat einen flachen Boden, das zweite einen spitzen Rumpf wie die Wikingerschiffe. Das dritte, auch das „Große Schiff“ genannt, zeichnet sich durch eine extrem robuste Bauweise aus. Es besaß ein quadratisches Segel und diente zum Transport schwerer Lasten im Ostseeraum.
Der nächste Schritt der Archäologen war die akribische Analyse und Dokumentation des Wracks. Schließlich galt es, dieses wertvolle Kulturerbe zu erhalten und im Rahmen aktueller und künftiger Forschungen so viel wie möglich über diesen einzigartigen archäologischen Schatz herauszufinden.
Doch die Bergung war ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Wintereinbruch stand bevor. Und das gerade freigelegte Holzschiff, das im schlammigen Wasser ruhte, war extrem anfällig für Schäden.
Jetzt musste schnell gehandelt und das Wrack vom Meeresboden gehievt werden, um die noch vorhandenen Bohlen zügig, doch mit größter Sorgfalt zu untersuchen und zu dokumentieren.
Angesichts der Menge von 228 Teilstücken wurde Auer bald klar, dass sie mit ihrem herkömmlichen 3D-Scanverfahren über ein Jahr brauchen würden, um alle Holzbalken zu reinigen, zu scannen, aufzubereiten, zu beschreiben, zu kommentieren und zu fotografieren.
Auer stellte ein Team mit den besten Spezialisten zusammen, die er finden konnte: Er lud Thomas Van Damme von Ubi3D ein, Meeresarchäologe und Spezialist für 3D-Aufnahmen, der für das Scannen und die Annotation von 3D-Polygonnetzen in Rhino einen einzigartigen Workflow entwickelt hatte (Näheres siehe unten). Der Unterwasserarchäologe Massimiliano Ditta wurde mit der Leitung des 3D-Scanprozesses beauftragt. Ebenfalls mit an Bord waren die Belgierin Marie Couwenberg, Spezialistin für Photogrammetrie und 3D-Aufnahmen, sowie der Unterwasserarchäologe Benjamin Halkier aus Dänemark.
„Wir haben eine Woche gebraucht, um festzulegen, welche Prozesse und Verfahren wir in welcher Reihenfolge einsetzen wollen“, sagt Auer.
Bislang hatten sie den taktilen 3D-Scanner FaroArm eingesetzt. Durch den direkten Kontakt des Scanners mit dem gescannten Objekt werden einzelne Punkte aufgenommen, in Festkörper konvertiert und schließlich in 3D-Modelle umgewandelt. Es ist ein langsamer, zeitintensiver Prozess, für dessen reibungslosen Ablauf das Know-how von Fachleuten erforderlich ist.
Aus Erfahrung wusste Auer, dass sie mit dieser Verfahrensweise durchschnittlich 1,5 Holzstücke pro Tag bewältigen konnten. Für alle 228 Objekte hätten sie über ein Jahr gebraucht. Das war einfach zu lang – sie mussten eine schnellere Methode finden.
Im Rahmen seiner früheren Tätigkeit im Bereich Umweltverträglichkeitsprüfung und Schiffswrackkonservierung hatte Auer den professionellen 3D-Scanner Artec Eva kennengelernt. Sachkundige Mitarbeiter des Gold-zertifizierten Artec-Händlers KLIB hatten ihm eine Einführung gegeben, die ihn sehr beeindruckte.
Artec Eva ist ein leichtgewichtiger 3D-Farbscanner, der in unterschiedlichsten Branchen eingesetzt wird. Vor allem in der Archäologie und im Reverse Engineering findet er häufig Anwendung. Deshalb testete Auer den Scanner an den nassen Schiffsplanken. Als er sah, wie schnell, detailgenau und akkurat der leichte, handgeführte 3D-Streifenlichtscanner das ganze Spektrum der Holzstruktur erfasste, stand sein Entschluss sofort fest.
Auf seine Empfehlung hin setzte das Team beim Großen Schiff den Artec Eva ein.
„Mit herkömmlichen Verfahren hätte das Scannen ein Jahr in Anspruch genommen. Aber dank Artec Eva haben wir für das große Lastschiff nur einen Monat gebraucht“, berichtet Auer.
Das Scannen der Holzplanken mit Eva lief folgendermaßen ab:
Die Arbeiten fanden in einem Lagerhaus in der Nähe des Schweriner Schlosses statt.
„Sieben Planken am Tag, inklusive Reinigung, Scannen, Annotation, Beschreibung und Fotografie. So hat unser vierköpfiges Team in 33 Tagen alle 228 Holzkomponenten dokumentiert“, sagte Massimiliano Ditta.
Jeden Morgen wurden sieben Objekte für den Scan vorbereitet. Nach der Reinigung wurden die ersten zwei trockengetupft und nacheinander gescannt. Der Rest wurde feucht abgedeckt, da das Holz sich wölbt und Risse bekommt, wenn es länger als 20 bis 30 Minuten der trockenen Luft ausgesetzt ist.
„Bei den acht Meter langen, zwei bis drei Zentimeter breiten Planken waren alle vier Seiten in fünf bis zehn Minuten gescannt“, erinnert sich Massimiliano Ditta.
„Obwohl Artec Eva neu für mich war und ich mich etwas an die neue Handhabung gewöhnen musste, war ich von dem Scanner begeistert. Er hat uns eine Menge Zeit gespart und war sehr angenehm in der Anwendung – insbesondere im Vergleich mit dem taktilen Scanner FaroArm.“
„Die meisten Planken“, fährt er fort, „haben wir auf der Seite liegend erfasst. Wenn ihre Krümmung zu stark war, haben wir sie mit Seilen an die Decke gehängt und auf diese Weise gescannt.“
Van Damme erklärt den gesamten Prozess, den er entwickelt, in Zusammenarbeit mit dem Team optimiert und später auf der ISBSA-Konferenz vorgestellt hat:
„Als erstes wurde jede Planke von allen vier Seiten gescannt. Dann wurden die Scans in Artec Studio in wunderschöne, farbige Polygonnetze umgewandelt – perfektere digitale Nachbildungen der Bohlen gibt es nicht. Diese wurden anschließend zur Annotation als OBJ-Dateien in Rhino 5 exportiert.“
„Danach wurden sämtliche Merkmale der Holzplanken vollständig erfasst. Mithilfe der Funktion „Polygonlinie auf Polygonnetz“ wurden sie auf unterschiedlichen Ebenen exakt dort gespeichert, wo sie sich auf dem Holz befinden. Die Anmerkungen enthielten Einzelheiten zu jedem Schnitt und zu jedem Axthieb, sämtlichen Nagellöchern, den kleinsten Kratzern sowie zur Holzmaserung. Es wurde vermerkt, welche Werkzeuge jeweils zum Einsatz kamen und welche Nägel benutzt wurden, ob Eisen- oder Holznägel. Wir haben auch geprüft, ob es Hinweise auf Reparaturen gab und von welchem Teil des Baums ein Holzstück stammte.“
„Während dieses Vorgangs hatten wir nicht nur die 3D-Polygonnetze vor uns. Auch die echten Holzplanken lagen direkt vor uns und wurden akribisch untersucht.“
„Im dritten Schritt haben wir für jedes einzelne Objekt eine technische 2D-Zeichnung mit allen Details erstellt. Diese Zeichnungen sind im Grunde destillierte Versionen der 3D-Modelle, denn sie zeigen nur die interpretierten Informationen, die für die Wissenschaftler von Interesse sind: etwa die Konturen des jeweiligen Holzes, den Querschnitt zur Formdarstellung sowie die farbkodierten Polygonlinien mit den verschiedenen Merkmalen, die wir in Rhino erfasst hatten. Die technischen 2D-Zeichnungen vermitteln dem Wissenschaftler auf einen Blick, wie die einzelnen Holzkomponenten beschaffen sind“, erklärt Van Damme.
„Artec Eva hat den großen Vorteil, dass er im Vergleich zur Photogrammetrie um einiges nutzerfreundlicher ist. Selbst Leute, die kaum Erfahrung mit 3D-Scans haben, hätten diese Dokumentation durchführen können. Es hat richtig Spaß gemacht, das Holz mit Artec Eva zu scannen, weil das Gerät sehr leicht handzuhaben ist. Zuvor hätten wir von jedem Stück über 300 Nahaufnahmen aus den unterschiedlichsten, unbequemsten Winkeln machen müssen“, erklärte Van Damme.
Die technischen Zeichnungen mit den 2D-Ansichten der farbigen Polygonnetze und den schriftlichen Beschreibungen der einzelnen Teile wurden in den Schiffskatalog aufgenommen, der zusammen mit dem Abschlussbericht veröffentlicht wurde. Mit ihm können Wissenschaftler nun das Holz im Detail studieren. Der Katalog enthält eine Farblegende zu den technischen Zeichnungen.
„In der Vergangenheit mussten alle Kanten eines Objekts mit einem taktilen Scanner (wie dem FaroArm) nachgezeichnet werden. Das war extrem zeitaufwendig. Das Gute an unserer Methode ist, dass es in Rhino Werkzeuge gibt, die den kommentierten Scan (das farbige 3D-Polygonnetz und die Ebenen mit den Polygonlinien, die wir zur Auswertung der Teile gezeichnet haben) in eine technische Zeichnung umwandeln können. Die 2D-Linien werden also automatisch anhand der kommentierten Scans generiert, ohne dass wir die Umrisse aller Objekte nachziehen müssen“, so Van Damme.
Doch als es an die digitale Rekonstruktion des gesamten Schiffs anhand der hochauflösenden Polygonnetze ging, gab es ein Problem: Manche Planken waren weniger intakt als andere. Auer erklärte, wie sie deshalb vorgingen: „Die Backbordseite war fast vollständig erhalten. Also haben wir einfach den Scan gespiegelt, den wir mit Eva von dieser Seite angefertigt hatten und so ein komplettes Schiff erstellt.“
Massimiliano Ditta hat 3D-Drucke aller Holzteile anfertigen lassen, um eine kleine Version des Schiffs nachzubauen. „Ich habe alle Komponenten im Maßstab 1:20 aus Gips drucken lassen. Zum einen wollten wir das Schiffswrack originalgetreu rekonstruieren. Zum anderen wollten wir anhand des Nachbaus herausfinden, wo die noch nicht zugeordneten, losen Fundstücke hingehörten.“
Das 3D-Miniaturmodell wird unterschiedlichen wissenschaftlichen Analysen dienen, etwa für Untersuchungen zur Hydrostatik und numerischen Strömungsmechanik (CFD). Außerdem wird es für die Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt, damit Besucher vor Ort und im Internet sehen können, wie das Schiff einst aussah.
Auer und Ditta haben das Modell des Großen Schiffs mit ihrem neu erworbenen Artec Space Spider gescannt. Space Spider ist ein extrem hochauflösender 3D-Farbscanner, der selbst von komplizierten Objekten makellose digitale Abbilder erstellen kann.
Laut Auer verlief das gesamte Projekt so erfolgreich, dass das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege von Mecklenburg-Vorpommern vor kurzem Artecs neuesten handgeführten 3D-Scanner erworben hat und auf seine baldige Lieferung wartet: Artec Leo. Dieser kabellose Scanner wurde mehrfach ausgezeichnet und besitzt einen eingebauten Touchscreen mit automatischer 3D-Bildverarbeitung. So kann man schon während des Scans auf dem Bildschirm sehen, wie aus dem Objekt ein 3D-Modell wird.