Medizinische Ausbildung durch hyperrealistische Dummys in Zeiten von Covid-19
Die ersten unternehmerischen Schritte von Lifecast Body Simulation waren bereits ein direkter Erfolg. Das Unternehmen revolutionierte die Filmindustrie mit Dummys, die so real wirkten, dass sie kaum von einer lebendigen Person zu unterscheiden waren. Von blutigen Kriegsszenen über Spezialeffekte bis hin zu allem, was übernatürlich ist, hat das in den Londoner Elstree Studios ansässige Team seitdem an verschiedenen Blockbustern und großen Produktionen wie Black Hawk Down, Der Soldat James Ryan und der Fast and Furious-Serie mitgearbeitet. Nachdem man sich aber mehrere Jahre lang auf Leichen für Filmproduktionen spezialisiert hatte, wurde das Unternehmen von zwei Mitarbeitern des Gesundheitswesens angesprochen, die etwas ganz anderes im Sinn hatten: die Ausbildung von Notärzten und Medizinern.
Die Atemsysteme werden an mit Kathetern ausgestatteten Dummys getestet, die die Lungenfunktionen nachbilden. (Foto aus @Lifecastbodysim auf Instagram)
„Zwei renommierte Notärzte, die Einsätze auf der ganzen Welt und auch in Kriegsgebieten gemeistert haben, kamen zu uns mit dem Anliegen, unsere hyperrealistischen Körper für die medizinische Ausbildung einsetzen zu wollen“, berichtet Tristan Schoonraad, ein britischer Künstler und Bildhauer, der den meisten als Schoony bekannt ist. Neben seiner Arbeit mit Life3D Studios, einem Unternehmen, das Lösungen für Abformungen, 3D-Scannen und -Drucken hauptsächlich für Film, Fernsehen und Kunst anbietet, arbeitet Schoony auch als Geschäftsführer bei Lifecast BodySim an der Seite seines Vaters John Schoonraad, einem Mitbegründer und Creative Director.
Lifecast BodySim war bereits vor Beginn der Pandemie in der Branche tätig. „Wir machen schon seit Jahren medizinische Arbeiten“, erklärt John Schoonraad. „In letzter Zeit ist das Interesse daran aber immer weiter gewachsen – und wir sind die Einzigen in unserer Branche, die über Qualifikationen dieser Art verfügen.“
Am 23. März, nur zwei Wochen vor dem Lockdown in Großbritannien aufgrund der Ausbreitung von Covid-19, spendete Lifecast BodySim fünf seiner Dummys bzw. Manikins, wie sie im medizinischen Bereich genannt werden, an die NHS Nightingale Hospitals – zwei provisorische Krankenhäuser für die Intensivpflege, die in Großbritannien als Reaktion auf Covid-19 eingerichtet worden waren.
Im ersten Schritt wurden 2.000 medizinische Fachkräfte an diesen Test-Dummys geschult, um durch Covid-19 hervorgerufene Symptome, etwa Atemwegskomplikationen und Atembeschwerden, besser erkennen und behandeln zu können. Der Schwerpunkt der Schulung lag dabei auf dem richtigen Einsatz von Beatmungsgeräten, Ventilatoren und Inkubatoren.
Die realistischen Dummys werden unter anderem für Schulungen im Zusammenhang mit Covid-19, etwa bei akuten Atemwegserkrankungen, verwendet. (Quelle: Lifecast Body Simulation)
Insbesondere in Notsituationen und wenn in medizinischen Einrichtungen Chaos durch Katastrophen wie Covid-19 ausbricht, sind Genauigkeit und Präzision entscheidend. „Man kann viel Schaden anrichten, wenn man eines der lebensrettenden medizinischen Verfahren falsch anwendet“, so John Schoonraad. „Wenn medizinisches Personal allerdings zunächst an einem Silikonkörper geübt hat, ist durch die gewonnene Routine die Arbeit mit einem echten Körper leichter und es kann daraus größerer Nutzen gezogen werden.“
Um sicherzustellen, dass die Körper möglichst realistisch aussehen und wirken, muss der Prozess der Herstellung dieser Manikins detailliert und gründlich sein. Besonders für die Erfassung und Nachbildung der Einzelheiten eines menschlichen Kopfes ist die Verwendung von Artec Eva für die Detailarbeit unerlässlich. Als 3D-Scanner mit Strukturlicht, der auf die Erstellung präziser texturierter 3D-Modelle spezialisiert ist, eignet er sich ideal für mittelgroße Objekte wie eine Motorrad-Auspuffanlage, Baumaschinen oder, wie in diesem Fall, für den menschlichen Körper. Artec Eva erfasst jede Oberfläche, einschließlich des menschlichen Auges, sicher, schnell und hochpräzise.
Seit Jahrhunderten wird ein als Körperabformung bekanntes Verfahren verwendet, um 3D-Abbildungen lebendiger menschlicher Körper durch die Herstellung einer Negativform und einem entsprechendem Gussverfahren herzustellen. Diese Methode wird auch heute noch häufig in Film und beim Design verwendet. Mithilfe verschiedener Techniken, wie beispielsweise durch das Auftragen einer Seetangpaste, die im nächsten Schritt für die Herstellung einer Gussform abgenommen wird und im Anschluss an eine Nachbearbeitung einen Nachguss erlaubt, ließen sich bereits vor der 3D-Scan-Technologie Nachbildungen herstellen. Schoonrad schätzt allerdings, dass allein die Fertigung einer solchen Form, beispielsweise um einen menschlichen Kopf nachzubilden, ungefähr 20 Minuten, plus mehrere Stunden zur Vorbereitung und Nachbearbeitung, dauert. Insgesamt würden für einen ganzen Körper mindestens drei Stunden von vom Start bis zur fertigen Form – im Vergleich zu nur wenigen Minuten beim Scannen.
Obwohl die Körperabformung derzeit den Vorteil hat, dass sie ein vertrautes Verfahren ist und die Erfassung bestimmter Details in einer direkt vom Körper gefertigten Form ermöglicht – die Methode erübrigt immerhin die Schritte des Druckens und des Modellierens –, stellt die Branche aktuell komplett oder teilweise auf 3D-Scannen um.
Bei Lifecast BodySim wird die Technik der Körperabformung oftmals gemeinsam mit dem 3D-Scan durch Artec Eva angewandt: So wird Artec Eva etwa für den Kopf genutzt und Körperabformung für den Rest des Körpers. Doch die Verwendung von Artec Eva zeigt im Vergleich einige klare Vorteile, insbesondere bei der Arbeit mit älteren Menschen, für die der Prozess der Körperabformung selbst schwierig sein kann.
„Wenn wir Menschen scannen, erhalten wir viel realistischere Abbildungen. Anders als bei der Körperabformung kann man bei ihnen zum Beispiel die Augen öffnen“, sagt John Schoonraad. Ein weiterer Vorteil des 3D-Scannens besteht darin, dass die schnelle Technik es ermöglicht, die notwendigen Gesichtsausdrücke oder Körperpositionen erneut zu scannen, falls während des Scanvorgangs bemerkt wird, dass ein erneuter Scan nötig ist.
„Abgeformt zu werden ist nicht gerade das Angenehmste auf der Welt, wohingegen sich der Prozess des Scannens schnell, einfach und genau gestaltet“, erklärt Schoonraad. „Beim Scannen benötigt man nur ein paar Minuten und muss mit ausgestreckten Armen dastehen. Und es kann überall durchgeführt werden – in Hotelzimmern oder im Studio. Scannen ist die Zukunft.“
Nachdem eine Person gescannt wurde, werden die Daten im Artec Studio verarbeitet und schließlich ausgedruckt. „Wir nehmen dann diese Ausdrucke, verfeinern sie in der Modellierung und stellen eine Form her“, erläutert John Schoonraad. In dieser Phase wird Monster Clay (ein formbarer Ton mit hoher Plastizität und einzigartiger Elastizität) verwendet, der es ermöglicht, feinere Details, wie etwa Falten, hinzuzufügen. Für die Anfertigung der hyperrealistischen Körper wird Silikon verwendet.
Einer der letzten Schliffe, um den hyperrealistischen Eindruck der Dummys zu verstärken, besteht in der Verwendung von echtem Haar. Dieser Arbeitsschritt wird von Gracie Schoonraad, einer professionellen Haarstylistin sowie Ehefrau von Tristan Schoonraad, durchgeführt.
„Sobald die Körper vollständig hergestellt sind, werden die Haare, Menschen- und Yakhaare, eingesetzt“, sagt Gracie, die die Haare für Kopf, Wimpern und Augenbrauen strähnenweise einnäht, häkelt oder einhakt. „Es ist sehr schwierig, realistische Abbildungen zu schaffen. Sobald man Haare hinzufügt, und zwar echte Haare, schafft dies etwas wirklich lebensnahes.“
Dummys mit Atemfähigkeiten und Vitalzeichen
Die Dummys sind jedoch mehr als nur verblüffend reale Abbildungen: Die Technik hat sich so weit entwickelt, dass sie auch mit Atemfähigkeiten und Vitalzeichen ausgestattet werden können, berichtet John Schoonraad. Dazu gehört auch die Möglichkeit, den Puls zu messen und die Atmung zu simulieren. Außerdem „hat jeder einzelne unserer Dummys eine Kamera im Hals“, bemerkt Schoonrad. Dies dient der Intubationsschulung. Hierbei wird das medizinische Personal darin geübt, die richtigen Beatmungsschläuche in den Hals einzuführen. „Wenn man in den Rachen einer unserer Attrappen schaut, sieht er genau wie ein echter menschlicher Hals aus.“
3D-Scannen wurde auch verwendet, um Komponenten der Testpuppen, einschließlich der inneren Organe, digital zusammenzusetzen und zu testen, digitale Prototypen von noch zu fertigenden Teilen zu erstellen oder um Teile zu scannen und zu drucken, die unglaublich schwierig zu formen wären, etwa ein Brustkorb.
Das Scannen wird häufig verwendet, um genaue Reproduktionen innerer Organe zu erstellen. (Bild aus Life3D-Studios)
„Der hier gezeigte Brustkorb basiert auf einer Hilfstechnologie, die es ermöglicht, an den Puppen einen simulierten Ultraschall durchzuführen.“, erzählt Jasper Turner von Life3D Studios. „Die Abbildung musste dem Entwurf einer bestehenden Serie entsprechen, die nur einen halben Satz Rippen umfasste. Scannen und Spiegeln wurden verwendet, um eine genaue Reproduktion des vorhandenen Modells zu erhalten - der komplette Satz wurde schließlich in die Silikonpuppe eingebettet.“
Seit den Anfängen vor nur drei Jahren hat sich Lifecast BodySim einen globalen Kundenstamm aufgebaut. „Die Kunden, die unsere Dummys kaufen, sitzen in Indien, Australien, Deutschland, Frankreich, Saudi-Arabien – also verteilt auf der ganzen Welt“, schildert John Schoonraad. Um das medizinische Personal in den USA zu versorgen, wurde auch ein Produktionszentrum in Florida eröffnet. Im Idealfall wird pro Woche ein Dummy hergestellt. Da aber im Atelier derzeit an mehreren Dummys gleichzeitig gearbeitet wird, und obwohl dabei die Arbeitsvorgänge zur Einhaltung der Covid-19-Bestimmungen reduziert werden müssen, werden jeden Monat mehr als 15 Manikins angefertigt.
Einmal aus einer Form hergestellt, werden die Silikonpuppen mit Details wie Haaren, Falten und simulierten Körperfunktionen hyperrealistisch dargestellt. (Bild aus Life3D-Studios)
Patrick Thorn von Patrick Thorn 3D berichtet zum Wert und die zunehmende Bedeutung solcher Arbeit in der heutigen Welt Folgendes: „Seit vielen Jahren gibt es Teilkörper, Organe, Skelette und dergleichen“, erklärt er. „Doch heutzutage, angesichts noch strengerer Regeln und Vorschriften, brauchen die Mediziner mehr denn je realistische Ausbildungshilfen. Life 3D liefert einige der realistischsten Ausbildungshilfen aus vollständigen und Teilmodellen, die sich zudem wirklich echt anfühlen.“
Und gerade während der Pandemie ist die Arbeit von Lifecast BodySim von entscheidender Bedeutung.
„In diesen merkwürdigen Zeiten, die wir durch Covid-19 erleben, ist es beeindruckend zu sehen, dass verstärkt auf 3D-Scantechnologie gesetzt wird, um Dinge herzustellen, die den Menschen beim Kampf gegen die Pandemie an vorderster Front helfen“, gesteht Thorn.
Während der Einsatz der 3D-Technologie während der Pandemie für viele verblüffend erscheinen mag, ist John Schoonraad nicht überrascht: „Was die 3D-Technologie angeht, habe ich diese Entwicklung schon lange kommen sehen“, sagt er. "Wir haben uns für die Soft- und Hardware von Artec 3D entschieden und sind sehr zufrieden damit. Wir sind stolz darauf, dass wir immer versuchen, der Zeit ein wenig voraus zu sein. Derzeit kratzen wir aber immer noch an der Oberfläche.“