DNH 155: Prähistorische Schädelrekonstruktion mit Artec Space Spider
„Dieser Teil der Geschichte muss erzählt werden“, betont Jesse Martin, Forscher an der australischen Universität La Trobe und Mitbegründer des Projekts. „Denn ohne den Artec 3D Scanner und unsere Software wäre die Rekonstruktion des DNH-155-Schädels, der bereits weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, schlicht unmöglich gewesen.“
Martin, seine Mitarbeiterin Dr. Angeline Leece, sowie Prof. Andy Herries und das gesamte Team konnten Artec Space Spider ohne jedwede Schwierigkeiten einsetzen. Der handgeführte 3D-Scanner wurde bei jedem Schritt der Ausgrabung und Rekonstruktion dieses außergewöhnlichen Exemplars der menschlichen Evolution genutzt. Der Fund zeugt anschaulich von mikroevolutionären Veränderungen innerhalb der Spezies.
Der vollständige Forschungsartikel wurde am 9. November 2020 in Nature Ecology & Evolution veröffentlicht.
Als das Team von der Basis in Melbourne, Australien, nach Südafrika aufbrach, wurde der tragbare Space Spider als Handgepäck mit ins Flugzeug genommen. Bereits wenige Tage später fing der Scanner die ersten DNH 155 Schädelfragmente ein, nachdem diese im südafrikanischen Boden gefunden waren. Nach hunderten von Scans und monatelanger Arbeit vor Ort und im Labor scannte Space Spider schließlich den fertig rekonstruierten Schädel, um Bilder für die Forschungsarbeit selbst zu erstellen.
Steinbruch Drimolen Main Quarry, Südafrika
Bei DNH 155 handelt es sich um einen fast vollständig erhaltenen Schädel der Art Paranthropus robustus, ein entfernter Verwandter des heutigen Homo sapiens also. Er wurde 2018 von der Feldschülerin Samantha Good im Steinbruch Drimolen Main, nördlich von Johannesburg, Südafrika, ausgegraben. Während die meisten Fossilienfunde lediglich aus einem einzelnen Zahn oder Knochen oder aus dem Fragment eines Schädels bestehen, wurden die einzelnen Bruchstücke von DNH 155 in relativ großer Nähe zueinander gefunden. Das bedeutet aber nicht, dass sie einfach wie Teile eines Puzzles zusammengesetzt werden konnten. Ganz im Gegenteil.
Mit Hilfe der Co-Direktorin Stephanie Baker und Dr. Angeline Leece schnitt Jesse Martin in Drimolen über mehrere Tage hinweg sorgfältig große, fossil eingebettete Sedimentblöcke aus dem Boden heraus.
Um zu verhindern, dass die Sedimentblöcke, die aus einfacher Erde bestehen und an der Oberfläche die einzelnen Fragmente enthalten, auseinanderfallen, wurden sie im Zuge der Konservierung mit Kleber aufgegossen. Auf diese Weise konnte alles genau an der Stelle gehalten werden, an der es sich seit dem Zeitalter der Äonen befunden hatte. Anschließend begoss das Team die Oberfläche der geleimten Sedimentblöcke in regelmäßigen Abständen mit Aceton, um die sich darin befindlichen Fossilien zu lockern. Bevor der Leim wieder trocknen konnte wurde die Erde dann vorsichtig millimeterweise abgetragen, abgebürstet oder teilweise sogar unter Zuhilfenahme eines Trinkhalms weggesaugt. Sobald daraufhin eines der Fossilien sichtbar wurde, nahm Martin seinen 3D Scanner Space Spider und fing an das Fragment zusammen mit der gesamten Oberfläche des Sediments einzuscannen.
DNH 155 kommt nach über 20.000 Jahren wieder zum Vorschein
Über dieses Vorgehen äußert sich Martin wie folgt: „In diesem Moment gibt es eine Art Zwickmühle: Denn einerseits möchte man das Fossil reinigen und konservieren, aber dazu muss es auch gleichzeitig auseinandergenommen werden. Das bedeutet, dass Sie die ursprüngliche Fundstelle zerstören müssen, um das Fossil wieder genau zusammensetzen zu können. Das 3D-Scannen ermöglicht es mir nun, von jeder einzelnen Fossilschicht eine genaue Abbildung zu erstellen, sodass ich später die Fragmente wieder genau an ihren ursprünglichen Platz zurücksetzen kann.“
Im Laufe von mehr als 300 Stunden gelang es Martin und Leece genau diesen Plan umzusetzen und mithilfe der parallellaufenden Software Artec Studio eine digitale Sammlung von Scans zu erstellen. Innerhalb weniger Klicks konnte jedem Fragment nun dessen exakte Abbildung, Fundort und Positionierung zugewiesen werden.
Space Spider war auch bei der Rekonstruktion von DNH 155 aus den insgesamt über 250 Fragmenten von entscheidender Bedeutung: „Jedes Bestandteil wurde während des manuellen Rekonstruktionsprozesses des Fossils mehrmals gescannt“, so Martin. „Dadurch erhielten wir eine genaue 3D-Aufzeichnung jeder Iteration während der Rekonstruktion. DNH 155 haben wir mit Space Spider zahlreiche Male vor Ort und auch in unserem Labor an der Universität Johannesburg gescannt.“
Martin geht auf das Verfahren im Detail ein: „Da wir bei der Rekonstruktion die größeren Stücke einzeln gescannt haben, erhielten wir auch alle inneren Details des Schädels. Keine herkömmliche Methode hätte in das Innere des Schädels gelangen können, sobald der Schädel wieder ganz zusammengesetzt ist. Wenn überhaupt würde hier nur das CT-Scannen in Frage kommen. Weil aber Space Spider so schnell ist, war es ein Einfaches für uns, die einzelnen Stücke vor der endgültigen Rekonstruktion zu scannen.“
„Die beiden traditionellen Methoden der Archäologen, nämlich Fotogrammmetrie und die manuelle Vermessung mit Messschiebern und Linealen, erfordern häufigen Griffkontakt mit den Fossilien. Das bedeutet, dass die Fossilien früher oder später zerkratzt und abgesplittert werden, wenn nicht sogar schlimmer“, erläutert Martin seine Meinung zu einem der größten Vorteile beim Einsatz von Space Spider.
Artec Space Spider
„In den Sammlungen, die ich gesehen habe, waren immer wieder zerkratzte und abgesplitterte Fossilien, verursacht durch jahrelange Messungen mittels Messschieber. Mit einem Artec Scanner würde das nicht ein einziges Mal passieren, da dieser Vorgang eine absolut kontaktlose, aber dennoch präzise Vermessungsmethode ermöglicht.“
Er erklärt weiter: „Um das Fossil in wenigen Minuten präzise vermessen zu können, ist dank der Methode des 3D-Scannens mit Artec Space Spider keinerlei Kontakt mehr damit erforderlich. Ich kann 1.000 Scans eines Hominidenschädels machen und es wird keinerlei Schäden geben. Würden Forscher traditionell vorgehen und dasselbe mit Messschiebern aus Metall oder Kunststoff tun, wird dies zwangsläufig zu Beschädigungen führen. Abgesehen davon, dass anatomische Messungen mit Messschiebern ein enormes Risiko bergen, weil sie eine besondere Positionierung des Fossils erfordern.“
Martin beschreibt das Vorgehen eines 3D-Scans wie folgt: „Beim ersten Durchgang wird der Scanner auf- und abgesenkt, während die Drehscheibe mit dem sich darauf befindlichen Fossil um ihre eigene Achse rotiert. Danach wird das Fossil umgedreht und dasselbe passiert für die andere Seite. Dieser Vorgang dauert höchstens ein paar Minuten. So erzielt man eine ausreichende Überlappung und Abdeckung aller Oberflächen, um das Fossil vollständig abzubilden, sobald die Verarbeitung durchgeführt wird.“
In Artec Studio wiederum nutze Martin die Löschfunktion, um den Hintergrund zu entfernen, bevor er die Scans ausrichtet. Nach dem Upload und der Zuordnung der Scans in der Cloud folgten weitere Arbeitschritte, um eventuelle Abweichungen auszumerzen und Dopplungen vorzubeugen. Martin erklärt: „Wenn ich mir die Schädel von Hominiden anschaue, möchte ich einen schönen Blick auf alle qualitativen Merkmale werfen, also stelle ich die Genauigkeit auf 100 Mikrometer ein. Dann kann ich alles sehen, was ich will, wie etwa die Schläfenlinien, Schädelnähte, Foramina und vergleichbare Merkmale.“
Nachdem er sichergestellt hatte, dass das Modell digital abgeschlossen ist, übertrug Martin die Textur und exportierte den Scan dann als WRL-Datei. „Ich wähle WRL nicht nur, weil es ein universelles Format ist, sondern auch, weil ich die Textur von der Geometrie getrennt haben möchte. Wenn Sie die Art von Arbeit machen, wie wir sie machen, möchten Sie die Farbschicht entfernen können, um die qualitativen Merkmale zu sehen, denn diese kommen regelmäßig zum Einsatz.“
Artec Studio-Screenshot von DNH 155 mit Textur
Martin erklärt, wie wichtig es ist, direkt mit der Geometrie des Fossils zu arbeiten: „Wenn Forscher die Scans ohne Farbe betrachten, was im Artec Studio einfach zu bewerkstelligen ist, können sie viel mehr sehen, als sie sich zuvor vorgestellt haben, und sicherlich viel mehr, als sie sehen könnten, wenn sie das Fossil direkt betrachten.“
Artec Studio-Screenshot von DNH 155 mit entfernter Textur
„Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür sind die Enthüllungen, die uns vor einigen Jahren gelangen, als wir den Schädel eines anderen Hominiden mithilfe von Space Spider untersuchten. Während das Fossil etwa zwei Millionen Jahre alt ist, war der Hominide erst 2 oder drei Jahre als, als er starb. Bei Menschen sind die Schädelknochen in jungen Jahren relativ weich, da diese noch wachsen und schlussendlich verschmelzen müssen. So war es auch bei diesem Fossil. Das Gehirn wächst derweil schnell und drückt gegen die Innenseite des noch weichen Schädels. Diesen Druck kann man aber selbstverständlich nicht sehen, wenn man den Schädel visuell untersucht. Sogar ausgebildete Forscher sind dazu nicht in der Lage. Für das menschliche Auge sieht es schlicht so aus, als gäbe es Beulen und Kratzer. Verwendet man aber die Software von Artec Studio in Verbindung mit einem Scan von Space Spider, der noch dazu die Textur entfernt, kann man eindeutig einen detailgetreuen Abdruck eines 2 Millionen Jahre alten Gehirns erkennen. Und dieser Abdruck ist so deutlich zu sehen, wie bei einem heutigen modernen CT-Scan. Man kann sogar Details wie die mittleren meningealen Gefäße, Sulkus- und Gyralabdrücke sehen. Wir können leicht interpretieren, welche Bereiche des Gehirns vorhanden sind und welche nicht. Aufgrund der Abdrücke dieses Gehirns auf dem Schädel, sind wir jetzt in der Lage, ein 2 Millionen Jahre altes Gehirn zu untersuchen. Sobald Sie die Textur aus dem Scan entfernen, können Sie alles in realitätsgetreuen Details erkennen.“
Die Forscher Angeline Leece und Jesse Martin mit einem gedruckten 3D-Exemplar von DNH 155
Neben der digitalen Forschungsarbeit wurde DNH 155 anhand der mit Space Spider erstellten Scans in 3D ausgedruckt. Das Ergebnis verblüffte dabei nicht nur die direkt beteiligten Wissenschaftler. Einen naturgetreuen 3D-Druck eines extrem zerbrechlichen 2 Millionen Jahre alten Fossils zu sehen, ist selbst für altgediente Forscher eine Besonderheit.
Martin beschreibt, wie wichtig der Grad der Details, den Space Spider bei der Rekonstruktion der Schädel von Hominiden erreicht, ist: „Wir können Schädelfragmente, die wir gescannt haben, in 3D ausdrucken. Diese lassen sich dann einheitlich mit dem eigentlichen Fossil zusammenfügen. Alle Nähte, alle Kanten fügen sich perfekt zusammen.“
Martin begann erstmalig mit der Nutzung von Space Spider im Jahr 2015, nachdem ihn Dr. Justin Adams von der Monash University mit dem Scanner und der Software Artec Studio vertraut gemacht hatte. Nach nur einer Stunde Einweisung durch Adams brauchte Martin noch etwa zusätzliche zehn Stunden, um sich mit dem Gerät komplett vertraut zu machen. Diese nur kurze Zeitspanne sieht Martin in der Qualität der Technologie und Innovativität begründet. Das Beste an dem Scanner ist für ihn nicht nur die Leistungsfähigkeit und Nutzerfreundlichkeit, sondern auch die Möglichkeit zum unkomplizierten Transport. „Space Spider ist für uns mittlerweile unabdingbar geworden, da wir den Scanner ständig mit in den Einsatz nehmen“, berichtet Martin.
Zeichnung von DNH 155 von Forscher Giovanni Boschian
Ben Myers, Direktor von 3D Scanning bei dem, in Melbourne ansässigen, Artec Gold zertifizierten Vertragshändler Thinglab, kommentiert den Einsatz von Artec 3D-Scannern in der Archäologie mit folgenden Worten: „Wir sind stolz darauf, Jesse Martin und seine Kollegen von der La Trobe University als Kunden zu haben und sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Wir glauben, dass Artec 3D auch Forschern und anderen Fachleuten optimale Lösungen für 3D Scans bietet: von der Desktopvariante Artec Micro über die tragbaren Scanner Eva, Space Spider und Leo bis hin zum Artec Ray, der auf einem Stativ montiert ist. Jede mögliche Anwendung der digitalen Erfassung ist umsetzbar.“
Das Scanning wurde von der Universität Johannesburg, einem Doktorandenstipendium der La Trobe University für den Forscher Jesse Martin und einem Discovery project Grant des Australian Research Council (DP170100056) für Professor Andy Herries unterstützt.